Corona-Enquete: Studierende nicht vergessen!
- bgs437
- 10. Nov.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Nov.

Die COVID-19-Pandemie hat Studierende bundesweit besonders hart getroffen. Unsere Hörsäle und Bibliotheken blieben zu, unsere Professor:innen und Komiliton:innen sahen wir nur noch auf dem Bildschirm. Wenn dann noch der Nebenjob wegfällt, dann wird klar, warum unsere psychische Gesundheit und Freude am Studium litt. Auch als Regelungen für andere gelockert wurden und Hilfe kam, blieb die Belastung der Studierenden unsichtbar. Somit traf die Pandemie gerade Studierende gravierend.
“Wir fordern, dass die studentische Perspektive in der Enquete-Komission gehört wird!” erklärt Constantin Meyer zu Allendorf, Bundessprecher von Campusgrün. “Dabei geht es uns darum, anzuerkennen, dass Studierende auch in besonderem Maße von den damaligen Herausforderungen betroffen sind.”
Die Folgen spüren wir bis heute: Studieren dauert länger als geplant, daher ist das Geld knapper als gedacht. Praktika mussten abgebrochen werden, wichtige praktische Erfahrungen fehlen. Die soziale Isolation ist groß und die Universität blieb immer fremd - wie sollte es anders sein, wenn die Räume für Begegnung, Engagement und Kultur auf dem Campus geschlossen bleiben. Besonders hart war diese Ausnahmesituation für Erstakademiker:innen, chronisch Kranke und Studierende mit Care-Verpflichtungen.
Folgen der Pandemie für Studierende:
Der Umstieg auf hervorragende, digitale Lehre klappte nicht
Die Pandemie hat gezeigt, dass viele Hochschulen technisch und didaktisch nicht auf digitale Lehre vorbereitet waren. Marode Infrastruktur, Schwierigkeiten mit Online-Formaten und fehlendes digitales Know-how führten zu massiven Qualitätsverlusten im Studium. Digitale Vorlesungen fanden oft als monotone PowerPoint-Übertragungen ohne Interaktion statt; vierstündige Zoom-Sitzungen mit minimaler Pause waren keine Seltenheit. Insbesondere die digitale Ausstattung der Wohnheime war für diese Situation nicht gemacht. Wer hier wohnte, hatte schlechtere Chancen, am Studium teilzuhaben.
Hintergrund
Laut einer CHE-Befragung zeigte sich während der Corona-Pandemie, dass viele Hochschulen technisch und organisatorisch nicht auf dauerhaftes Online-Studium vorbereitet waren. Die Durchführbarkeit digitaler Formate schwankte stark zwischen den Fachrichtungen, und Infrastruktur wie Bibliotheken, Lernräume oder geeignete Endgeräte waren vielfach unzureichend.
Studierende kritisieren häufig interaktionsarme, ausufernde Online-Lehrformate. Mangelnde Schulung des Lehrpersonals und fehlende hybride Angebote nach 2022 erschwerten insbesondere chronisch kranken Studierenden und Studierenden mit Care-Verpflichtungen den Zugang zum Studium. Damit gab es, anders als erhofft, keinen nachhaltigen Digitalisierungsschub an Hochschulen.
Keine Praktika und fachfremde Alternativen
Pflichtpraktika wurden während der Pandemie massenhaft abgesagt, Ersatzangebote fehlten. Viele Studierende mussten fachfremde Tätigkeiten anrechnen lassen, was Bildungsqualität und Berufseinstieg erschwerte. Die Folge sind durch das Corona-Loch verlängerte Studienzeiten, fehlende Praxiserfahrung und Angst in der Jobsuche.
Hintergrund
Befragungen des Deutschen Zentrums für Hochschule und Wissenschaft dokumentieren erhöhte Abbruchgedanken, Unsicherheit und Risiken für den Studienerfolg in Pandemiephasen.
Viele Absolvent*innen und Studieninteressierte berichteten über schlechtere Perzeption der Einstiegschancen (Einstellungsstopps, Verzögerungen), besonders zu Beginn der Pandemie; ökonomische Analysen zeigen Einbrüche im Arbeitsmarkt und Einstellungszurückhaltung in 2020/2021. Die TU Dresden konstatiert, dass zahlreiche Praktika, Austauschprogramme und Auslandsaufenthalte abgesagt, nur digital angeboten oder verschoben wurden.
Existenzangst und weniger Hilfe
Lockdowns, Isolation und digitale Überforderung führten zu einem drastischen Anstieg psychischer Belastungen bei Studierenden – während die psychosoziale Versorgung zusammenbrach. Die Wartezeiten auf Psychotherapieplätze stiegen massiv an. Studentische Beratungsstellen waren überlastet und konnten niedrigschwellige Präsenzangebote nicht aufrechterhalten. Viele Studierende fühlten sich mit Einsamkeit und Existenzängsten alleingelassen, da Therapieplätze über Monate ausgebucht waren.
Hintergrund
Laut Hochschule für Gesundheit Bochum (2021) zeigten im Wintersemester 26,9 % der Studierenden depressive Symptome. Daten der Konrad-Adenauer-Stiftung belegen einen Anstieg des Bedarfs an psychologischer Beratung um 23 % im zweiten Corona-Jahr. Wartezeiten auf Psychotherapieplätze stiegen teils auf über 20 Wochen.
Zu wenig finanzielle Hilfe
Viele Studierende verloren ihre Nebenjobs und gerieten in finanzielle Not. Staatliche Hilfen waren oftmals zu schwach. Auch erreichten längst nicht alle Betroffenen. So wurden die Überbrückungshilfen nur gewährt, wenn der Kontostand unter 500 € lag. Damit waren nur diejenigen überhaupt berechtigt, die ihr durchschnittliches Zimmer mit einer Monatsmiete von 505€ schon nicht mehr leisten konnten.
Hintergrund
Laut einer Studie der FU Berlin für die Juso-Hochschulgruppen verloren 35% der Studierenden ihren Nebenjob. Überbrückungshilfen wurden nur bei einem Kontostand unter 500 € gewährt – eine vielfach als realitätsfern kritisierte Grenze. Zudem wurden rund 40 % der Nothilfe-Anträge wurden laut Deutschem Studentenwerk abgelehnt.
Ehrenamt und Campusleben - Kulturtransfer fehlt
Die Pandemie unterbrach den kulturellen Austausch, studentisches Engagements und führte zu einem Einbruch des Campuslebens. Studierende, die während oder nach der Pandemie ihr Studium begannen, kennen das „alte“ Studileben mit lebhaften Diskussionen, Aktivismus und Protesten oft nicht. Studentische Initiativen wie AStA und Fachschaften meldeten in der Folge deutliche Rückgänge im Engagement. Dieser Riss in den Strukturen erschwert es den Studierendenvertretungen, neue engagierte Mitglieder zu finden. Helena Schnettler, Bundessprecherin von Campusgrün sagt dazu:
”Viele Studierende wollen den Ort, an dem sie ganze Tage und manchmal auch Nächte verbringen, gestalten können. Corona war hier eine Zäsur: Ältere Semester konnten die soziale und politische Kultur kaum an die jüngeren weitergeben. Damit wurden Orte seltener, an denen die Universität 'meine Uni' wird.”
Fragen an die Enquete-Komission:
A. Studienverläufe und Praktika: Systematische Benachteiligung?
Wie viele Studierende haben seit 2020 ihr Studium aufgrund pandemiebedingter Hürden (Praktika, Prüfungen, digitale Lehre) unterbrochen oder abgebrochen?
Wie viele davon waren Erstakademiker*innen, chronisch krank oder in Care-Verantwortung?
Wie viele Pflichtpraktika wurden zwischen 2020–2022 abgesagt? Wie viele Studierende mussten fachfremde Tätigkeiten anrechnen lassen?
Gab es hochschulweite Lösungen (z. B. Nachholregelungen, Kulanz bei Anrechnungen)? Wenn nein, warum nicht?
Wie bewertet die Kommission die Ungleichbehandlung von Hochschulen im Bundesgebiet?
B. Digitale Lehre: Warum scheiterte die Infrastruktur?
Welche Investitionen tätigten die Hochschulen durch Förderung der Länder und des Bundes in die digitale Infrastruktur (WLAN in Wohnheimen/Bibliotheken, Leihgeräte, Schulungen für Lehrende) während der Pandemie?
Warum kehrte die Hochschullandschaft Deutschlands 2022 fast vollständig zur Präsenzlehre zurück – obwohl hybride Formate für vulnerable Gruppen (z. B. chronisch Kranke) dringend gefordert wurden?
Plant die Hochschule, dauerhaft hybride Lehrangebote zu etablieren? Wenn nein, warum nicht?
C. Psychische Gesundheit: Wer kümmerte sich um die Studierenden?
Wie viele Studierende nutzten während der Pandemie die psychosozialen Beratungsangebote der Universitäten oder des Studierendenwerks?
Wie lange waren die Wartezeiten für Therapieplätze? Gab es Notfallprogramme für akute Krisen?
D. Finanzielle Not: Warum versagten die Hilfssysteme?
Wie viele Studierende erhielten BAföG, Überbrückungshilfen oder KfW-Darlehen während der Pandemie?
Wie viele Anträge wurden abgelehnt – und aus welchen Gründen (z. B. „zu hohe Ersparnisse“)?
Wie bewertet die Kommission die Bürokratie bei Nothilfen (z. B. 500-€-Programm des BMBF)? Gab es lokalen Spielraum, um Härtefälle zu entschärfen?
Wie viele Studierende waren auf Tafeln, Wohngeld oder Schulden angewiesen? Gab es städtische Unterstützung(z. B. Mietzuschüsse, Stromkostenhilfen)?
E. Ehrenamt und Campusleben: Wo blieb die Solidarität?
Wie viele studentische Initiativen (AStA, Fachschaften, Hochschulgruppen) meldeten Rückgänge im Engagement seit 2020?
Gab es Förderprogramme, um das Campusleben wiederzubeleben? Wenn nein, warum nicht?
Plant die Komission, unterstützung für dauerhafte Strukturen im studentischen Ehrenamt zu schaffen (z. B. Räume, Stipendien, Mentoring)?








